Jahresrückblick an die evangelischen Gemeinden im Kirchenkreis Neukölln
Liebe Gemeindeglieder, liebe Pfarrer*innen, liebe GKR-Mitglieder.
Wir registrieren derzeit deutlich, wie Gemeinden, aber auch Einzelpersonen, empört darauf reagieren, dass angedachte Sparziele in der Gesellschaft die Schere zwischen „Arm und Reich“ immer weiter auseinanderklaffen lassen.
Als Evangelische Kirche sind wir bereits vielfältig aktiv und wollen uns auch weiterhin auf der Grundlage der biblischen Botschaft und im Wissen um die Mitverantwortung der Kirche in der Gesellschaft – gegen Armut und Ausgrenzung – einsetzen. Die Corona Pandemie und deren Bekämpfung drängt immer mehr Menschen ins wirtschaftliche Abseits.
Die materielle, krankheitsbedingte, soziale und emotionale Armut der Menschen steigt stetig an.
Es gibt keine sozial schwachen Menschen in unserer Gesellschaft, es ist die wirtschaftliche Not, die Menschen an den gesellschaftlichen Rand drängt und somit der Teilhabe jegliche Grundlage des Lebens entzieht.
Das Jahr 2020 fing im Rauschen der Feste rund um den Erdball an. Ein neues Jahrzehnt mit viel Hoffnung und Zuversicht für die Welt.
Doch dann kam alles anders. Ein neuartiges Virus mit dem Namen COVID-19 füllte plötzlich die Nachrichtenspalten rund um den Erdball.
Plötzlich spürte man, wie eine Gesellschaft den Pfad der Mitmenschlichkeit verlässt. Erst ganz zaghaft, aber dann mit voller Wucht!
Als aber am 14. März 2020 der komplette Lockdown beschlossen und durchgeführt wurde, verfiel das Land kurzzeitig in Schockstarre. Nun ist bei uns mit der Corona Pandemie plötzlich alles ganz anders geworden. Ein kleines, unsichtbares Virus hat uns drastisch aufgezeigt, wie verwundbar wir auf dieser Welt sind. Es setzt unsere gewohnte Lebensweise außer Kraft – hinein in den Notbetrieb.
Das gab es noch nie, aber in diesem Moment der trügerischen Wahrheit bekamen die Menschen Angst – nicht mal gesundheitlich, es war die pure Existenzangst, die an ihnen zehrte. Hamsterkäufe waren nun an der Tagesordnung, jeder war plötzlich auf sich allein gestellt.
Die älteren Menschen waren noch eher gelassen, aber die Jugend sah sich
plötzlich vor riesigen Herausforderungen.
Obdachlose Menschen waren und sind weiterhin die wirklich Leidtragenden! Die „plötzliche Sichtbarkeit“ dieser Menschen führte am Anfang zu großen Irritationen in der Bevölkerung, aber auch zu ungeahnter Solidarität. Die „Aktion Lunchpakete“ für die Tee- und Wärmestube in Neukölln wurde gestartet, um wenigstens das Leid der auf der Straße Lebenden zu verringern. Die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung war enorm und täglich erreichten uns Hilfsangebote aus dem ganzen Land. Ja, selbst Geschäftsleute, die ebenso von Schließungen betroffen waren, spendeten großzügig.
Leider begann das Jahr 2021 so wie das Jahr 2020 geendet hatte: Bis in den Monat Mai lief die Aktion Lunchpakete weiter und weit über 20.000 Menschen in Not wurden in Neukölln mit Nahrungsmitteln versorgt. Ab Juni trat eine gewisse Normalisierung ein und die Tee- und Wärmestube konnte wieder öffnen – natürlich mit entsprechenden Auflagen.
Allerdings ist es bis jetzt noch nicht absehbar, inwieweit die volle Auslastung auf Grund der aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionszahlen wieder erreicht werden kann.
Es gab und gibt eine ganz neue Art der sozialen Verbundenheit, aber auch der
sozialen Verantwortung gegenüber den Mitmenschen.
Unzählige Ehrenamtliche in unserem Kirchenkreis, aber auch außerhalb kämpfen unter größten Mühen gegen Armut und Obdachlosigkeit! Vielerorts wird zu Spenden aufgerufen, um das Leid der Menschen in Not etwas zu lindern. Der enorme Bedarf an Kleidung, Nahrung, medizinischer und sozialer Betreuung spiegelt sich allerdings nicht mehr in den genehmigten Budgets durch den Senat wieder. Mieten und kommunale Gebühren steigen gerade in den Brennpunktbereichen und schon längst reichen die Finanzmittel nicht mehr aus. In solchen Situationen heißt es, die Schockstarre zu überwinden, sich sammeln, Ruhe bewahren, zuversichtlich sein und hoffen, dass alles ein gutes Ende nimmt.
Manche von uns zeigten plötzlich ungeahnte Fähigkeiten, ihren Alltag neu zu gestalten. Besuche und Feiern wurden massiv eingeschränkt und viele entdeckten das Internet neu. Videokonferenzen und Telefonschaltungen ersetzten praktisch das Zusammenleben und Arbeiten.
Nachteilig sind aber für einen Großteil der Menschen die soziale Isolation und die emotionale Armut. Wir kannten bis dahin nur krankheitsbedingte und materielle Armut.
Doch auf Grund der Corona Pandemie und ihrer immer wiederkehrenden Veränderungen, wird es zunehmend schwieriger, einen klaren Kopf zu behalten und Hilfe weiterhin zu gewährleisten. Wir brauchen für die Zukunft enorme Anstrengungen, um die Vielseitigkeit der Hilfen in unseren Gemeinden zu koordinieren und nach außen hin sichtbar zu machen.
Was können wir als Evangelischer Kirchkreis Neukölln tun?
In unserem Kirchenkreis gibt es bereits vielfältige Angebote zur Armutslinderung: Es gibt Schlafplätze für obdachlose Menschen, es gibt das Projekt Arbeitslosenfrühstück, das Projekt Mahl-Zeit, große Spendenaktionen, Weihnachtspaketaktion für Obdachlose und hilfebedürftige Menschen, Beratungseinheiten wie z. B. Schuldnerberatung, Seelsorge und noch vieles mehr. Es wäre von Vorteil, dass möglichst alle Aktivitäten in einem kleinen Katalog zusammengefasst werden und somit alle Gemeindeglieder über die vielseitigen Angebote Kenntnis erlangen.
Auch sollte darüber nachgedacht werden, inwieweit es möglich ist, ein gemeinsames Spendenlager aufzubauen, um somit die hohe Zahl an Sachspenden auch entsprechend und gezielt weitergeben zu können. Was das Wichtigste für uns im Alltag sein muss, ist das an Andere denken, sich nahe und verbunden bleiben, helfen, wo immer möglich, Freude bereiten. Es sind Zeichen der Verbundenheit, der Solidarität, die sich vermehren, indem wir sie untereinander weitergeben! Sie haben eine große und hoffentlich auch bleibende Wirkung.
Die Notwendigkeit des Lebens liegt im Zusammenhalt und der Unterstützung im nachbarschaftlichen Bereich. Wenn Menschen in Not sind, dann ist es nicht nur allein die Aufgabe des Staates und der großen Kirchen zu helfen. Nein, es ist auch die Aufgabe der Gesellschaft, in der wir leben.
Ich vermisse das ungezwungene Miteinander, ich vermisse das Lachen und die Freude der Menschen und vor allem das sich wieder in den Arm nehmen, um Trost zu spenden. Bringt euch ein, egal wo ihr seid. Handelt gemeinsam für uns alle. Gebt Hilfestellung, wo ihr könnt. Es ist für alle eine schwierige Zeit und wenn man über die Grenzen hinausschaut, dann sieht man, wie viele Menschen in Leid und Not sind.
Wir alle haben viel zu gewinnen, wenn es uns gelingt, Ungleichheit in unserer Gesellschaft zu überwinden – wieder mehr Zusammenhalt, mehr Solidarität und vor allem mehr Gottvertrauen.
Das neue Jahr wird uns weiterhin vor große Herausforderungen stellen und ich würde mich freuen, wenn Sie dabei sind und gemeinsam der Armut eine Stimme geben.
Mit einem kleinen Gedicht aus meiner Feder wünsche ich Ihnen allen ein gesundes Ankommen im neuen Jahr 2022.
Neujahrsgrüße
Ein neues Jahr rückt uns nun entgegen;
soll bringen uns viel Glück und Segen,
erfüllen uns die Wünsche all,
egal wie groß sei ihre Zahl.
Kein Trübsal und Dunkel, ein bisschen mehr Licht,
kein quälend Verlangen, ein bisschen Verzicht.
Die Zukunft müsste, hätten wir zu walten,
uns auf das freundlichste nun gestalten.
Und das neue Jahr, es wird nun kommen,
bis wir alles in uns aufgenommen
und auch dieses wird wieder vergehen,
uns im nächsten Jahr wieder sehen.
Altes Jahr, du ruhst in Frieden,
bist so laut von uns geschieden.
Wir haben verloren und gewonnen,
bist nicht umsonst mit der Zeit verronnen.
©TdV
Bleiben Sie gesund und behütet,
Ihr Thomas de Vachroi, Armutsbeauftragter des Evangelischen Kirchenkreises Neukölln und dem Diakoniewerk Simeon
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