Auferstehung einer Legende – Sigrid Grajek als Claire Waldoff in der kleinen Philharmonie
Wo lässt man eine Legende auferstehen?
Wie gestaltet man einen Raum für eine große künstlerische ansprechende Darbietung?
Man sucht sich ein Lokal mitten in Berlin mit besonderem Flair und einer großen Vergangenheit.
So ist es nicht von ungefähr, dass man relativ schnell fündig wurde im altehrwürdigen Bezirk Charlottenburg/Wilmersdorf.
Soviel Vergangenheit und Geschichte findet man nur hier.
Es handelt sich um die Künstlerkneipe „Die kleine Philharmonie“. Seit nunmehr 50 Jahren erfreut sich dieses Lokal in unmittelbarer Nähe der „Bar jeder Vernunft“ großer Beliebtheit bei Jung und Alt.
Allein wenn man diesen Laden betritt, ist man gefangen durch die Fotografien großer Künstler und edler Namen. Da hängt der große Valentino und unterhält sich Worte hauchend mit Marlene Dietrich und Hildegard Knef zieht aufgeregt an ihrer Zigarette.
Brigitte Mira hat ihr Kleid ausgestellt und es erscheint gerade so, als wenn sie sich nur kurz umgezogen hätte für den nächsten Auftritt. Hier scheint die Zeit stehengeblieben zu sein.
Auch das Mobiliar wurde nicht ausgewechselt und wer weiß, wer alles auf diesen Stühlen schon Platz genommen hat um ein Glas Champagner oder ein Bier zu genießen. Wenn man ganz still ist hört man ein munteres Geplapper all dieser großen Künstler.
Und genau in dieser wunderbaren Künstlerkneipe erscheint wie aus einem Nebelschleier Claire Waldoff in Person der großen Darstellerin und Sängerin im Kleinkunstkabarett SIGRID GRAJEK.
Kurz hält man die Luft an und reibt sich verwundert die Augen. Was da in 2 Stunden geboten wurde verschlägt einem die Sprache. Sie hat es fertiggebracht,, das alte Berlin wieder auferstehen zu lassen. Mit körperlichen Einsatz und einer großen Stimmgewaltigkeit versetzte sie das staunende Publikum in die Zeit der Jahrhundertwende, als der Kaiser abgedankt hat und Heinrich Zille am Hotel Adlon die Passanten malte und mit Witz und Charme auch das Leben und Treiben im Wannseebad auf seine ganz eigene Art porträtierte.
Sigrid Grajek als Claire Waldoff nahm alles auf die Schippe und nicht nur „Frau Gänseklein“, die in ihrer Hoffart und Eitelkeit zum Gespött der damaligen Berliner Gesellschaft wurde.
Nicht zu vergessen einer der unzähligen Gassenhauer „Wer schmeißt denn da mit Lehm….!“ Dieses Lied sang Sigrid Grajek zum Schluss der Veranstaltung und das ganze Publikum jubelte und sang fleißig mit. Die Liedtexte haben heute noch große Bedeutung und sind eigentlich gar nicht so weit weg vom heutigen Zeitgeist des Umbruchs und Aufbruchs unserer scheinbar überforderten Gesellschaft.
Die damalige Kunst des Gesangsvortrags bleibt trotzdem unübertroffen und viele Stars und Sternchen versuchen sich daran. Doch es sind nur ganz wenige, die dieses Genre beherrschen und damit einzigartig sind.
Es gibt heute kaum noch Darsteller, die dieser ehemaligen Originale nur Ansatzweise nahe kommen. Sicher, die Zeiten haben sich geändert und doch verspürt man ganz unterschwellig die Rückkehr zur tatsächlichen Kunst und das nicht in großen Hallen, wo man mittlerweile schon Feldstecher und Operngläser einsetzen muss, um überhaupt den Künstler zu sehen. Man ist genervt vom Massenklatschen und kollektiven Jubelrufen.
Viele der sogenannten Kunsttempel haben so viel Platz wie beim Flug mit AirBerlin. Es ist kein Kunstgenuss das Atmen der Nachbarn hautnah zu spüren und die allgemeinen Hustenattacken und Räusperer der Besucher weitreichende Erschütterungen ganzer Sitzreihen auslösen.
Zurück zu Bühnen in wohltemperierten Lokalitäten mit max. 50 Plätzen, um auch wirklich einen Kunstgenuss der besonderen Art zu haben. Wahre Künstler stehen mitten im Publikum und interagieren mit ihm und schweben nicht mit einem Seil über dem Publikum, unterstützt durch Musikelektronik, die nur noch den vortragenden Text erahnen lässt.
Claire Waldoff lebt, könnte man nach dieser gelungen Veranstaltung sagen. Sigrid Grajek verstand es, das Publikum mitzunehmen und in eine Welt einzutauchen, die für einen Großteil der Zuhörer nur noch aus Büchern oder alten Filmen bekannt ist.
Danke an die kleine Philharmonie, die der Kleinkunstbühne wieder einen Raum gibt.
Es war sensationell und ich freue mich auf vieles mehr..
©Thomas de Vachroi
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