Erdbeben in der Türkei/Syrien – Auswirkungen bis Berlin
Ein Gespräch mit Yusuf Balcioglu – Inhaber des Salons MyHairstudio13 in Berlin
Zu nachtschlafender Zeit, vollkommen unerwartet bebte die Erde in der Türkei und Syrien.
Es war morgens um 04.17 Uhr in der Nacht vom 5.02. auf den 06.02.2023
Innerhalb von Sekunden wurden Menschen aus dem Schlaf gerissen, Häuser stürzten ein. Ganze Straßenzüge der Stadt Antakya (Antoichia) wurden dem Erdboden gleich gemacht. Menschen, die sich noch retten konnten, rannten verzweifelt auf die Straße, riefen nach Angehörigen oder liefen wie in Trance durch die verwüsteten Straßen. Nichts war mehr so wie Minuten vorher. Das Leben hörte auf zu existieren. Fassungslos stehen tausende Menschen auf Feldern und Wegen und beten inbrünstig zu Gott. Überall hört man das immer wiederkehrende, warum?
Weltweit berichten Fernsehsender, soziale Medien und die Nachrichten überschlagen sich. Die Intensität dieses Bebens verstärkt sich immer weiter durch noch größere Erdstöße. Häuser, die noch standen, gerieten ins Wanken und waren nur noch ein Trümmerfeld.
Tausende Kilometer vom Erdbebengebiet entfernt läuteten die Telefone ohne Unterlass. Berlin erwachte gerade aus dem Schlaf als Yusuf Balciolu die furchtbare Situation im entfernten Antakya realisierte. Sein Elternhaus und ein Großteil seiner eigenen Verwandtschaft wohnten in dieser Stadt. Eine Stadt, die plötzlich ein Trümmerfeld war.
Aus den sozialen Netzwerken erfuhr er, dass sein Elternhaus zusammengebrochen war und er konnte Personen aus seiner Verwandtschaft darauf erkennen. Fragen über Fragen stellten sich: Wer ist noch im Haus? Gibt es Überlebende? Wie kann man helfen? Ein psychologischer Ausnahmezustand im entfernten Berlin.
Yusuf Balcioglu versuchte über alle Kanäle Nachrichten zu erhalten, um irgendwie helfend eingreifen zu können. Mit Googlemaps konnte er Standorte von Personen ausfindig machen, die in unmittelbarer Nähe waren. Das dreistöckige Elternhaus war sichtbar zerstört. Informationen kamen nur spärlich an und die kamen, waren erschütternd.
Das Erdgeschoss wurde von Familie Dönmez bewohnt (5 Personen), 3 Kinder und das Elternpaar, wovon nur die Mutter überlebt hat.
Im 1. Stock wohnten die Eltern, die sich aber in Deutschland aufhielten und somit der Katastrophe entgangen sind. Im 2. Stock befanden sich noch 2 Wohnungen. Eine Familie konnte sich rechtzeitig retten, aber leider wird eine Person, hierbei handelt es sich um Sükran Nizamoglu, weiterhin vermisst.
Nach überlieferten Aussagen gab es Hinweise, dass die Familie am 8.02. um 14.53 Uhr noch gelebt hat und sich bemerkbar machte. Da aber weder Bagger oder schweres Gerät zur Verfügung standen, konnte die Mutter erst um 20.47 Uhr lebend geborgen werden.
Am 09.02. gab es weitere Hinweise auf Überlebende, aber am Abend des Tages wurde Ayca Dönmez leider nur noch tot geborgen. Am 12.02. wurden die restlichen Familienmitglieder ebenfalls tot geborgen.tot geborgen werden.
Von Deutschland aus konnte Yusuf Balcioglu kaum Hilfe leisten, selbst an einen Flug war nicht zu denken. 80 % der Stadt sind zerstört und es gab nur wenigen Kontakt per Telefon, da die Netze weitgehend gestört waren.
O-Ton: Was hätte ich auch tun können?
Fassungslosigkeit machte sich breit, an Schlaf war kaum noch im entfernten Berlin zu denken. Immer mehr Details über diese Katastrophe kamen über die Medien heraus und die Todeszahlen steigen und steigen.
Yusuf Balcioglu zeigt mir eine schlichte Notiz mit den bereits Verstorbenen und man spürt die Verzweiflung und die Ohnmacht dieser Nachricht.
Alles verloren, sagt er, nicht nur die vielen Angehörigen, nein auch das Elternhaus sowie seine eigene Altersvorsorge, wenn er einmal in Rente geht. Wie soll es weitergehen?
Doch Yusuf bleibt rührig. Er hilft aus der Ferne, was möglich ist. Alles Geld wird zusammengesucht, um wenigstens den Überlebenden etwas zu schicken.
Es macht ihn aber auch wütend, dass der türkische Staat kaum Hilfe leistet. Die Menschen fühlen sich alleingelassen. Seine Eltern sind zutiefst verzweifelt, weil immer noch Angehörige vermisst werden und niemand weiß, wo sie sind oder unter welchem Haus sie vergraben liegen.
Die Akevler Sokak (Straße) gibt es nicht mehr und somit verschwindet ein Teil seiner Kindheit im Nichts.
Das Elternhaus muss nun komplett weggerissen werden und die Kosten dafür verlangt der türkische Staat von den Hinterbliebenen und Eigentümern. Hilfe schaut anders aus.
Die Hilfe, die tatsächlich geleistet wird, sind Privatinitiativen aus der ganzen Welt. Staatlich verordnete Hilfe kommt seltener. Man hört über die Medien von Plünderungen in der Stadt und dass LKWs kaum vorwärtskommen.
Bauunternehmer werden verhaftet wegen der schlechten Bauweise und dass Vorschriften übergangen worden sind. Doch wer war und ist denn zuständig für die Einhaltung der Vorschriften? Fragen über Fragen. Werden wirklich die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen?
Das macht leider die vielen tausend Opfer nicht mehr lebendig, das hilft den tausenden Obdachlosen nicht mehr. Die Menschen, die das überlebt haben, haben ihre Vergangenheit und ihre Zukunft verloren.
O-Tonton: „Man vergisst vieles im laufe des Lebens, aber alles was man in der Kindheit erlebt, bleibt in Erinnerung!“ Das habe ich nach dieser Katastrophe festgestellt.
Yusuf Balcioglu selbst stellt sich als unmittelbarer Betroffener gern für Vorträge zur Verfügung, um den Menschen in Berlin von dieser Katastrophe zu erzählen.
Die eigene Tochter möchte zu Spenden aufrufen. Sie ist eine bekannte Sängerin unter dem Namen Aylo.
Wer bereit ist zu spenden oder Yusuf einladen möchte, wendet sich bitte an ihn persönlich über seine Geschäftsadresse oder über die E-Mail: armutsbeauftragter@kk-neukoelln.de.
Kurze Videosequenzen zum Geschehen:
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Bilder und Videosequenzen freigegeben durch Yusuf Balcioglu.
Thomas de Vachroi
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