Demographischer Wandel
Nach der rassistischen Bevölkerungspolitik des NS-Regime fristete die
Demografie in Deutschland lange ein Schattendasein, galt die
Untersuchung oder gar Beeinflussung reproduktiven Verhaltens doch
als moralisch bedenklich.
Erst im Zusammenhang mit der politischen Debatte um die
Aufrechterhaltung der Sozialversicherungen kamen auch in Deutschland
Debatten über die demografische Entwicklung oder den demografischen
Wandel wieder auf. Zum Teil bis heute blieb die Diskussion dabei stark auf Themen der Wirtschaft und Sozialsysteme fixiert. So sprach (und spricht man z. T. bis heute) im Hinblick auf die Altersversorgung vom Problem der Überalterung, obwohl objektiv nicht die Existenz älterer Menschen, sondern das Fehlen jüngerer (Unterjüngung) das Problem ist.
Inzwischen hat die Demografie in Deutschland wieder Anschluss an den internationalen Kenntnisstand gefunden. Ursula Lehr nannte bereits 1987 folgende 19 demografischen Faktoren:
1. Zunahme der Lebenserwartung,
2. Mit dem Alter zunehmende Differenz der Anzahl Männer – Frauen,
3. Wachsender Anteil älterer Menschen (1890 ?? % über 60, heute 21% , im
Jahr 2020 ca.32%),
4. Wachsender Anteil Hochbetagter und über 100jähriger (Hochaltrigkeit,
alte Alte),
5. Zunehmende Differenzierung der Alten in verschidene Lebens- und
Verhaltensformen,
6. Entwicklung zu einer age-irrelevant society,
7. Veränderte Relation der Altersgruppen,
8. Rückgang der Drei-Generationenhaushalte, Zunahme Ein-Generation- und
Ein-Person-Haushalte,
9. Singularisierung,
10. Zunahme der 4-und 5-Generationenfamilien,
11. Veränderungen im Lebenszyklus,
12. Verkürzung der Familienphase,
13. Zunahme Rentnerkohorte,
14. absolute Zunahme von Pflegebedürftigkeit, Abnahme des Potentials an
häuslichen Pflegepersonen;
15. Zunahme alt werdender Behinderter,
16. Zunahme alt werdender ausländischer Mitbürger.
Seither sind in der wissenschaftlichen Diskussion noch hinzugekommen:
17. Verjüngung des Alterns – Die Menschen werden heute früher und im Lauf
ihres Lebens länger mit Krankheitsproblemen konfrontiert.
18. Entberuflichung des Lebenslaufs
19. Weitere Feminisierung des Alters
Zunehmende Lebenserwartung der Menschen:
„Wir leben vier Jahre länger als unsere Eltern, unsere Kinder vier Jahre länger als wir“, sagt Axel Börsch-Supan, Direktor des Mannheimer Forschungsinstituts Ökonomie und demographischer Wandel. Dies sei ein einmaliger Alterungsprozess, der in Kombination mit der in Deutschland vorherrschenden niedrigen Geburtenrate eine enorme Herausforderung für unser Sozialsystem, unsere gesamte Infrastruktur und vor allem für unsere Wirtschaft darstelle.
Niedrige Geburtenrate:
Mit im Schnitt 1,36 Geburten pro Frau (2005) ist
Deutschland in der Disziplin „niedrigste Geburtenrate“ – fast gleichauf mit Italien und Spanien. Von geringen Schwankungen abgesehen, ist diese Größe in Westdeutschland seit etwa Mitte der 1970er Jahre relativ konstant, sie bewegt sich seitdem im Bereich von ca. 1,3 bis 1,45 Kinder je Frau. In der damaligen DDR lag sie in Folge familienpolitischer Maßnahmen in den letzten rd. 15 Jahren vor der Wende z. T. deutlich über den Werten Westdeutschlands, fiel nach der Wende auf ein historisches Tief von ca. 0,8 Kinder je Frau im Jahr 1994 (dem niedrigsten je gemessenen Wert weltweit) und hat sich seitdem dem westdeutschen Wert allmählich weitgehend angenähert. Zur Reproduktion einer Bevölkerung mit Sterblichkeitsverhältnissen, wie sie z. B. in Deutschland vorliegen, ist es erforderlich, dass jede Frau im Durchschnitt rd. 2,1 Kinder zur Welt bringt. Dieser Wert wird in Deutschland also deutlich unterschritten.
Deutschland befindet sich damit in einem globalen Trend, der auch als so genanntes „demografisch-ökonomisches Paradoxon“ bezeichnet wird: Je wohlhabender, freier und gebildeter eine Gesellschaft wird, desto weniger Kinder bekommt sie. Dies betrifft heute auch z. B. asiatische oder osteuropäische Länder.
Auch die Religiosität spielt eine Rolle: religiöse Personen bekommen
durchschnittlich deutlich mehr Kinder als säkulare, sowohl innerhalb einer Gesellschaft wie im internationalen Vergleich. Andererseits können
traditionalistische Familienmodelle bei sozioökonomischer Modernisierung die Geburtenraten der Gesamtgesellschaft absenken, wie derzeit z.B. in
Griechenland, Italien, Polen, teilweise auch Deutschland und beginnend auf dem Balkan und in der Türkei zu beobachten. Religiosität ermutigt tendenziell zur Gründung von Familien, Traditionalismus schreibt dagegen vor, wie diese auszusehen haben (und senkt damit die Zahl möglicher Familienmodelle).
Eine große Rolle spielt sicher auch die Familienpolitik. In Mitteleuropa sind traditionelle Familienformen noch recht häufig (erwerbstätiger in Vollzeit arbeitender Vater, während sich die Mutter um die Kinder kümmert und allenfalls in Teilzeit arbeitet). Aktuell wird viel über die Wahlfreiheit debattiert, das heißt, Eltern, und hierbei ganz überwiegend Müttern, Möglichkeiten zu geben, Familie und Beruf zu vereinbaren. Skandinavische Länder und auch zum Beispiel Island, werden in diesem Zusammenhang häufig als Musterländer angeführt. Häufig wird auch behauptet, dass hier die Geburtenzahlen höher seien (etwa 1,7 Kinder je Frau). Von allen entwickelten Industriestaaten hatten im Jahr 2005 die USA, Frankreich und Irland die höchsten Geburtenraten.
Diese Staaten hatten alle eine Geburtenrate über 2,0 Kinder pro Frau, was
nahezu der Bestandserhaltungsquote entspricht.
Auffallend ist, dass zwar Frankreich eine besonders aktive Familienpolitik betreibt, die USA und Irland diesbezüglich aber ausgesprochen zurückhaltend sind. Nicht abschließend geklärt ist der Einfluss der Sozialversicherungssysteme auf die Geburtenrate. Insbesondere Familienverbände weisen darauf hin, dass die gesetzliche Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung umlagefinanziert sind. Das heißt, diese Systeme sind auf Nachwuchs angewiesen, um auf Dauer zu funktionieren.
Eltern hätten vor allem in der Rentenversicherung einen gravierenden Nachteil, weil sich die im Alter zu erwartende Rente ganz überwiegend an den gezahlten Rentenbeiträgen bemessen würde. Das führe dazu, dass potentielle Eltern auf Nachwuchs verzichten, um möglichst viel einzahlen zu können. Während es früher so gewesen sei, dass man sich bei Kinderlosigkeit fragen musste, wer einen im Alter versorgt, sei es heute genau umgekehrt; man müsse auf Kinder verzichten, damit man im Alter die Möglichkeit hat, sich seine Altersversorgung von fremden Kindern finanzieren zu lassen.
Ein- und Auswanderungen: Für die zukünftige Bevölkerungszahl und die
Altersstruktur ist der Wanderungssaldo, d. h. die Differenz zwischen Zu- und Fortzügen, von Bedeutung. Der Wanderungssaldo war in den letzten 50 Jahren überwiegend positiv und betrug im Jahresdurchschnitt knapp 200.000
Personen. Davon waren drei Viertel Ausländerinnen und Ausländer. Das
Statistische Bundesamt ging (2003) davon aus, dass die Zahl der Zuwanderungen langfristig sinken wird. Eine Grund dafür ist, dass etwa die Zuwanderung aus Osteuropa oder der Türkei nach Deutschland zunehmend
erlahmt, sowohl aufgrund eigener Geburtenschwäche wie auch des stärkeren
Interesses osteuropäischer Zuwanderer z. B. nach England oder den USA.
Die ersten beiden Merkmale stützen die Befürchtung einer
Unterjüngung/Vergreisung der Gesellschaft. In der Vergangenheit hat das
positive Wanderungssaldo zwar für eine Zunahme der Bevölkerung gesorgt;
diese ist allerdings in jüngster Zeit zum Stillstand gekommen und seit 2003 in eine Schrumpfung übergegangen. Unter Experten herrscht weitgehend
Einigkeit, dass die Alterung durch Zuwanderung nicht dauerhaft aufgehalten jedoch verlangsamt werden kann.
Gesellschaft und Umweltbedingte neu entstandene Zivilisationskrankheiten
• Einstufung einer Krankheit als Zivilisationskrankheit
• In der Literatur herrscht keine Einigkeit darüber, welche
Krankheiten den Zivilisationskrankheiten zuzurechnen sind und
welche nicht. Es gibt daher keine vollständige und abgeschlossene
Liste der Zivilisationskrankheiten. Folgende Krankheiten werden
jedoch praktisch immer genannt:
• Herz- und Gefäßkrankheiten
• Diabetes mellitus Typ 2
• Bluthochdruck
• Übergewicht und Adipositas
• Gicht
• manche Allergien
• bestimmte Krebsarten (z. B. Lungenkrebs, Darmkrebs)
• bestimmte Hauterkrankungen (z. B. Neurodermitis)
• Essstörungen (Anorexia nervosa, Bulimia nervosa)
• bestimmte psychiatrische Erkrankungen (z. B. Depression,
Angststörungen, Burnout-Syndrom)
Ursachen der Zivilisationskrankheiten
Über die genauen Ursachen der Zivilisationskrankheiten herrscht eben sowenig Einigkeit wie über die Zivilisationskrankheiten selbst. Sicher ist, dass nicht ein einzelner Faktor, sondern wahrscheinlich ein Zusammenspiel aus genetischer Anfälligkeit, Lebensstil- und
Umweltfaktoren letztlich zur Erkrankung führt.
Weitgehend unumstrittene Risikofaktoren für das Auftreten einiger der o.g. Zivilisationskrankheiten sind:
• Zigarettenrauch/Nikotin
• Alkohol
• mangelnde körperliche Aktivität
• Über- und Fehlernährung
• Umweltgifte, Schlankheitsideal
• mediale Reizüberflutung
©red. Vachroi-Variable-Gesundheit 2012