Einordnung der Sendung „Markus Lanz“ vom 13. November 2025
Die Stagnation der deutschen Wirtschaft und die Rolle des Sozialstaats darin.
Der Text ist eine Aufarbeitung aus der Berliner Morgenpost, damit kritisiere ich die einseitige Gästeauswahl und die fehlende Berücksichtigung sozialer Härten. Ich versuche die Diskussion einzuordnen und stütze mich dabei auf die Berichte zur Sendung, Wirtschaftsdaten und Debatten zu Altersarmut.
Die Sendung war keine neutrale Analyse, sondern ein Spiegel des „ökonomischen Mainstreams“ – wertvoll, aber unvollständig.
Andreas Peichl (ifo-Institut): Fokussierte auf Bürokratie und 500+ Sozialleistungen als Bremsklotz.
Moritz Schularick (IfW-Präsident): Plädierte für Zuwanderung im „ökonomischen Interesse“ und kritisierte langsame Rüstungsinvestitionen.
Rüdiger Bachmann (Ökonom, USA): Betonte Demographiefalle und KI-Revolution, die Deutschland verschlafe.
Julia Löhr (FAZ-Journalistin): Sah den Sozialstaat als aufgebläht und forderte Investitionen in Forschung.
Harald Jähner (Autor): Verglich mit dem Wirtschaftswunder (1950er/60er), wo harte Arbeit und Potenzial Wachstum trieben – ohne Romantisierung der 50-Stunden-Wochen.
Die Runde war äußerst homogen. Alle Gäste aus dem Mainstream-Ökonomiemilieu (neoklassisch, marktorientiert), keine Politikerinnen und Politiker oder Sozialexperten. Das führte zu Einigkeit: Wirtschaftsleiden durch Demografie, Bürokratie und „politische Lähmung“ vor Älteren.
Lösungsvorschläge: Rentenreform (Anpassung an Lebenserwartung, Deckelung), Sozialabbau, mehr Zuwanderung, EU-Binnenmarkt. Kritik an der Regierung (Schwarz-Rot unter Merz) war scharf, aber reformorientiert – ohne Betonung sozialer Kosten. Auf X (ehemals Twitter) wurde die Sendung lebhaft diskutiert, oft mit Hashtags wie #LanzWirtschaft oder #RentnerSchuld – aber keine breite Gegenöffentlichkeit, da der Stream in der ZDF-Mediathek dominant war.
Gegendarstellung: Rentner als Sündenböcke? Eine einseitige Narrative
Der Vorwurf, Rentner würden „wieder einmal verantwortlich gemacht“, trifft zu – und ist politisch heikel. Die Runde implizierte, dass der Sozialstaat (vor allem Renten) Wachstum frisst, ohne Gegenleistung. Bachmanns „Demographiefalle“ (Ältere als Wählerdominanz) und Schularicks „Anreize für Frühverrentung sind absurd“ malten ein Bild von „faulen Rentnern“, die Jüngere belasten.
Das ignoriert aber: Viele Rentnerinnen und Rentner haben Jahrzehnte in den Aufbau des Sozialstaats investiert. Das aktuelle Umlageverfahren (Renten aus Beiträgen der Jüngeren) ist fair, solange Beiträge steigen – der „Bürgeranteil“ (Steuern) deckt Lücken, die durch Niedriglöhne entstehen (ca. 8 Millionen Menschen), nicht durch Rentner.
Politische Realität: Ja, Ältere wählen mehr (ca. 80 % Wahlbeteiligung vs. 50 % bei Jungen), aber das ist Demokratie, keine „Falle“. Reformen wie die Mütterrente (neu 2025) oder Rentenindexierung zielen auf Gerechtigkeit ab, nicht auf „Belastung“.
Wirtschaftliche Fakten: Der Sozialstaat kostet 2025 ca. 1,2 Bio. € (30 % BIP) umfasst das gesamte Sozialbudget, aber er stabilisiert Konsum und verhindert Rezessionen (Keynes-Effekt). Peichls 500 Leistungen klingen bürokratisch, doch Streichungen würden Armut explodieren lassen – ohne Wachstumsboost, da arme Haushalte sparen, nicht ausgeben.
Alternative Sicht: Der wahre Bremsklotz ist das Exportmodell (Autos, Maschinen), das durch US-Zölle und chinesische Konkurrenz leidet (Wachstum 2025: 0,2 % prognostiziert). Statt Rentner zu kürzen, bräuchte es Diversifikation (z. B. Green Tech), wie Schularick andeutete, aber radikaler.
Die Altersarmut: Eine unterschlagene Realität
Der Text erwähnt zutreffend die 20 %-Quote (unter 1.400 €/Monat) – das ist kein Randproblem, sondern eine Krise. Aktuelle Daten (2025) verschärfen das Bild:
Armutsgefährdungsquote bei über 65-Jährigen: 19,6 % (Rekordhoch, +1,2 % zu 2023), betrifft 3,54 Mio. Menschen.
Grundsicherung im Alter: 729.000 Anträge (Juni 2024, Trend steigend), oft Frauen (Quote 20,2 % vs. 16,1 % Männer).
Ursachen: Sinkendes Rentenniveau (48,3 % des letzten Nettolohns), Lücken in der Erwerbsbiografie (Teilzeit, Care-Arbeit) und Inflation (Lebenshaltungskosten +5 % 2025). Die Armutsgrenze liegt bei 1.314 € netto/Monat für Alleinstehende – viele beziehen Rente unter 1.200 €.
Bachmanns Vorschlag (Umverteilung: Hohe Renten kürzen für Niedrige) ist interessant, aber unrealistisch unter CDU/CSU – und ignoriert, dass 40 % der Rentnerinnen und Rentner eh unterdurchschnittlich verdienen. Besser: DIW-Idee eines „Boomer-Solis“ (Abgabe auf hohe Renten) oder Ausbau der Grundrente. Eine progressive Stimme (z. B. aus der Linken, wie in anderen Lanz-Sendungen) hätte das beleuchtet – sie fehlte.
Alternative Perspektiven: Was fehlte in der Runde?
Die Diskussion war auf Abbau fixiert, ohne Ausgleich. Hier ergänzende Sichten:
Wirtschaftstheorie/politik: Wachstum durch Nachfrage, nicht nur Einsparungen. Sozialleistungen pumpen Geld in die Wirtschaft – Kürzungen würden Rezession fördern.
Sozialpolitisch: Paritätischer Armutsbericht 2025 warnt: Armut steigt trotz Wohlstand (15,5 % Gesamtquote), Inflation trifft Ältere hart. Lösung: Bessere Integration von Zuwanderung (nicht nur „ökonomisch“, sondern sozial) und Bildungsinvestitionen.
Historisch (Jähner erweitert): Das Wirtschaftswunder basierte auf US-Hilfe (Marshallplan) und Migration – nicht nur „Arbeitswut“. Heute bräuchte es EU-Fiskalpakt-Reform, nicht nur Binnenmarkt.
Global: Chinas Aufstieg und US-Zölle (Trump 2.0) sind die wahren Bedrohungen – nicht Rentner. Deutschland muss in KI und Grün investieren (Löhr/Bachmann), finanziert durch Steuerreform (z. B. Vermögensteuer).
Lanz kündigte eine Wiederholung an – hoffentlich diverser. Die Sendung regt zum Nachdenken an, birgt aber das Risiko, Populismus zu füttern („Rentner vs. Jugend“). Tatsächlich braucht es Balance: Sozialstaat schützen, Wachstum fördern – durch faire Reformen, nicht Schuldzuweisung.
Thomas de Vachroi/Armutsbeauftragter



