Armut in Berlin – niederländische Delegation besucht das Diakoniehaus Britz
Lehrreicher aber auch konfrontierender Arbeitsbesuch aus den Niederlanden am 28/29. März 2019 in Berlin
Die Themen Armut und Schulden stehen in den Niederlanden schon längere Zeit hoch auf der politischen Agenda. Vergleichbar mit der Situation in Deutschland, wächst die Anzahl Personen die zeitweise, oder dauerhaft in Armut lebt. Es betrifft hauptsächlich Alleinstehende, auf Grund von Scheidung, oder Alter -wegen Versterben des Partners-, die finanzielle Balanc aus den Fugen gerät, beziehungsweise die Kosten plötzlich höher liegen wie die Einkünfte.
Aber es betrifft auch Personen die zwar eine Arbeitsstelle besitzen, aber auf Grund steigender Haushaltskosten (Mieten, Versicherungen, Elektrizität, usw. ) nichts mehr zum Leben übrig behalten (“Arbeitende Armen”). Diese letzte Gruppe ist in den Niederlanden seit Anfang 2000 mit 60% gestiegen. Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern ist der Anteil in Bezug zu anderen Arbeitnehmern (5,3%) allerdings immer noch gering. In Deutschland liegt der Anteil bei 9,4% und in Großbritannien selbst bei 12,4%.
In den Niederlanden experimentiert man zur Zeit auf unterschiedlichen Gebieten wie man den steigenden Trend von Armut und Schulden entgegentreten kann. Das ist keine einfache Sache; die Verführungen der Konsumgesellschaft werden immer raffinierter, der Zugriff auf Geld wird einfacher und die finanziellen Unterschiede in der Gesellschaft werden transparenter mit zunehmender Unzufriedenheit als Konsequenz. Schulden machen, bedeutet Stress haben. Tatsächlich können Personen unter psychologischen Druck keine rationalen Entscheidungen mehr treffen, wodurch eine noch größere Abhängigkeit entsteht.
Man sucht in den Niederlanden nach passenden Antworten indem man neue Erkenntnisse und Erfahrungen in aktuellen Pilot-Projekten gewinnt; z.B. auf dem Gebiet von “Mobility Mentoring”, Intensivierung der Signalsteuerung zwischen Wohnungsgesellschaften und Jobcentern, oder durch präventive Geld-Workshops in den Schulen.
Der Bedarf an neuen Einsichten und wirksamen Ansätzen ist groß; sowohl aus dem eigenen Land als auch International. Darum ist Ende letzten Jahres von einigen Städten der Wunsch geäußert worden, einen Arbeitsbesuch nach Berlin zu organisieren. Ziel des Besuches ist neue Erkenntnisse zu inventarisieren, Reflexion “erleben” und Austausch stimulieren.
Eine Delegation von 20 Personen von Referenten, Geschäftsführern und Stadträten aus unterschiedlichen Regionen in den Niederlanden haben zwei Tage einen (konfrontierenden) Einblick über die aktuelle Lage in Berlin bekommen; wobei man immer wieder von den Ausmaßen der Problematik beeindruckt war.
Alle Arbeitsbesuche wurden inhaltlich gut vorbereitet, so dass man schnell in die Diskussion einsteigen konnte. Zum Beispiel hatte man sich bereits einige Wochen zuvor den durch Berlin-24TV gedrehten Film “Der Lebenswert” angeschaut. Man wurde sich erneut bewusst, dass die menschliche Würde Ausgangspunkt aller Beziehungen ist und das es wichtig bleibt nicht wegzuschauen, sondern “Brücken” zu bauen, um Obdachlosen und von Armut bedrohten Gesellschaftschichten jeder Zeit neue Perspektiven zu eröffnen.
Wichtig hierbei sind mehr dauerhafte Investitionen in Begegnungsstätten, sowie z.B. die Tee und Wärmestube des Diakoniewerk Simeon in Neukölln. Wer hier an sparen denkt, will die “Gemeinschaft” eintauschen gegen noch mehr Verhärtung in der “Gesellschaft”; mit allen politischen Konsequenzen, die letztendlich für Keinen einen Vorteil mit sich bringt.
Eine weitere Hausaufgabe war darum das Lesen des im letzten Jahr erschienen Buches Hochdeutschland von Alexander Schimmelbusch: “Victor (die Hauptperson) kann sein albernes Siegerdasein als erfolgreicher Investmentbanker schon lange nicht mehr ernst nehmen. […] Er ist ein Produkt der marktorientierten deutschen Gesellschaft und dieselben Fähigkeiten, auf denen sein Erfolg in diesem System basiert, weisen ihm jetzt den Ausweg – eine Revolution.”
Mit dem Besuch an Berlin verknüpfte die niederländische Delegation viele neue Eindrücke (erworben während der Gespräche mit der Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung, Projekt Housing First, der Stadtmission und abschließend der Diakonie Simeon im Haus Britz, wo man sehr herzlich empfangen wurde und nach einem guten Mittagessen gestärkt an einer Abschluss-Diskussion teilnahm. Der Respekt über die Arbeit der Diakonie war groß. Sie ist notwendig, aber benötigt auch Unterstützung vom Land und Bund wenn man Armut wirklich bekämpfen will.
Die Delegation erhielt während den 2 Tagen einen guten Überblick und viele neue Ansichten. Aber Deutschland kann auch von den Niederlanden lernen. Darum wäre es gut den Kontakt zu pflegen und miteinander eine weitere Vertiefung zu ermöglichen; beziehungsweise konkrete Lösungsansätze zu gestalten.
Ausführungen von Jurgen Woudwijk – Niederländischer Delegationsleiter
Von Kirchlicher, diakonischer und bezirklicher Seite waren dabei:
Frau Brigitte Glöden – Sozial und Integrationsausschuss BVV Neukölln
Herr Olaf Petzold – Amtsleiter evangelicher Kirchenkreis Neukölln
Herr Detlev Weber – stellvertr. Aufsichtsratsvorsitzender Diakoniewerk Simeon
Herr Thomas de Vachroi – Armutsbeauftragter Diakoniewerk Simeon
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