Empörung über Bahrs Pflegereform
sueddeutsche.de
Sozialverbände, Wirtschaft und Opposition kritisieren die Benachteiligung Demenzkranker
Berlin – Die von der Regierung beschlossene Reform der Pflegeversicherung ist auf breite Ablehnung gestoßen. Während Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) das Vorhaben als Meilenstein bezeichnete, zeigten sich Sozialverbände und Opposition enttäuscht. Die Arbeitgeber sprachen von einer verfehlten Neuausrichtung der Pflege, die Gewerkschaften von einer verpassten Chance.
Durch die Reform erhalten daheim gepflegte Demenzkranke vom kommenden Jahr an mehr Geld. Zudem soll die Situation von Angehörigen verbessert werden, die zum Beispiel ihre altersverwirrten oder gebrechlichen Eltern versorgen. Die neuen Leistungen gelten auch für die Mitglieder der privaten Pflegeversicherung.
Um die Reform zu finanzieren, steigt der Beitrag zur Pflegeversicherung Anfang 2013 um 0,1 Punkte auf 2,05 Prozent (für Kinderlose 2,3 Prozent) des Bruttolohns. Dadurch nimmt die gesetzliche Pflegeversicherung pro Jahr zusätzlich 1,1 Milliarden Euro ein. Trotz des Ausbaus der Leistungen bezeichnete die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, Bahrs Pläne als halbherzig. ‚Das Vorhaben reicht bei weitem nicht aus, um Pflegebedürftige und deren Angehörige nachhaltig zu unterstützen‘, sagte sie. Demenzkranke fielen bei der Begutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen weiterhin durch das Raster.
Auch der Deutsche Caritasverband setzte seine Kritik an dieser Stelle an. Körperliche und geistige Erkrankungen würden immer noch unterschiedlich eingestuft. ‚Dieses gravierende Manko der Pflegereform muss schnellstmöglich beseitigt werden‘, sagte Caritas-Chef Peter Neher. Nötig sei deshalb eine neue Definition von Pflegebedürftigkeit. Bahr will die Vorbereitungen für einen solchen Umbau noch in dieser Legislaturperiode treffen. Er wies jedoch darauf hin, dass ihre Umsetzung Jahre dauern könne.
Als ‚Reförmchen‘ bezeichnete das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Annelie Buntenbach, die am Mittwoch beschlossenen Pläne. Die geplante Beitragssatz-Anhebung sei ‚absolut unzureichend‘. Allein die notwendige Einbeziehung von demenzkranken Menschen in die Pflegeleistungen erfordere bis zu 3,6 Milliarden Euro.
Für die Wirtschaft hingegen ist der geplante Anstieg der Lohnnebenkosten bereits zu hoch. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt bewertete das Reformvorhaben deshalb als verfehlt. ‚Es ist unverantwortlich, neue Leistungen in die Pflegekassen einzuführen, wenn noch nicht einmal die Finanzierung des heutigen Leistungskatalogs gesichert ist‘, sagte er. Der Verband der privaten Krankenversicherer forderte Union und FDP auf, die ebenfalls geplante Förderung von privaten Zusatzversicherungen für einen Pflegefall aufzustocken. Die bislang vorgesehenen Finanzmittel blieben deutlich hinter dem Bedarf zurück.
Die stellvertretende SPD-Fraktionschefin Elke Ferner sprach von einem Etikettenschwindel. ‚Nach einem tatenlosen Jahr liegt jetzt ein Gesetzentwurf vor, der keine Lösungen für die zentralen Probleme im Pflegebereich beinhaltet.‘ Bahr drücke sich vor der Verantwortung und verschwende damit kostbare Jahre zu Lasten der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen. Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte, Bahr kümmere sich nicht um eine ausreichende Versorgung von Demenzkranken.
red. vachroi-variable-gesundheit 2012