Der Sensenmann
Der Tod, gar viele meinen, dass sei immer der Knochenmann mit der Sense auf der Schulter.
Aber das ist nicht so!
Der Sensenmann – der ist nur einer von der großen Kompanie, die „Tod“ heißt.
Wo die Donner des Krieges dröhnen und die Blitze der Kanonen zucken, da mäht er seine Schwaden; oder wo die Schwüle der Seuchenpest lastet, da schwingt er seine Sense; oder wo eine LOK auf eine brüchige Dammstelle zusaust, da fällt seine Ernte.
Der Sensenmann arbeitet nur im Großen; einzelne Halme mäht kein Schnitter.
Für die einzelnen sind die kleineren Geschäftskollegen da.
Zum Beispiel der Rüpel:
Der zieht dem fleißigen Maurer unvermutet das Gerüst unter den Füssen weg; der stopft mit flinkem Finger einem gemächlich Schmausenden einen Knochen in den Hals; der stößt ein Kind, dass nach jungen Enten schaut, in den Teich; der schmiert einer Mücke Gift an den Stachel und hetzt sie auf einen arglosen Menschen wie einen tollen Hund.
Und dazu singt die Abendglocke ihr tiefes, frommes Feierabendlied.
Der Zauderer:
Der ist sentimental. Der ist ein Schwächling – Er hat keine Energie, er vermag niemals sein Werk stark und flink zu tun. Wochenlang, monatelang, jahrelang sitzt er am Lger seines Opfers und zögert und verschiebt es vom Morgen zum Abend, vom Abend zum Morgen.
Er weicht zurück vor jedem bisschen neuen Lebensmut, er geniert sich vor dem Weinen klagender Freunde, er mag das Netz nicht zu zerreißen, er knüpft feig und heimlich Masche um Masche auf, und wenn ihm ein Tröpflein Medizin ins Gesicht gespritzt wird, verkriecht er sich in einen Winkel.
Aber er kommt immer wieder, entknotet mit heimlichem Finger immer wieder Masche um Masche und kann es nicht über sich bringen, sein Werk zu vollenden, bis der von Schmerzen Geplagte mit bettelnder Stimme selbst Tag und Nacht nach ihm ruft. Und wenn es dann endlich getan ist, wenn die Freunde tiefschluchzend sagen: Der Tod war eine Erlösung! – dann schleicht der Zauderer davon und lächelt und hält sich für besser und gutherziger als seine Kollegen.
©Thomas de Vachroi, anno domini 2012