„Die Königin der Flaschen“ – Eine Geschichte von „Hilde“ am Savigny Platz in Charlottenburg.
„Die Königin der Flaschen“ – Eine Geschichte von Hilde am Savignyplatz in Charlottenburg.
Der Savignyplatz glühte im Abendlicht und die ersten Blumen recken sich in die letzten Strahlen der Sonne, während „Hilde“ mit ihrem klappernden Einkaufswagen durch die Menschenmenge navigierte. Ihre 79 Jahre lasten auf den Schultern, aber ihre Hände – von Arthritis gezeichnet – waren schneller als die der jungen Konkurrenz. Jede Pfandflasche war ein kleines Stück Leben.
„Entschuldigung, junger Mann“, flüsterte sie mit rauer Stimme, als sie sich vorsichtig über einen halbleeren Club-Mate-Becher beugte. Der Hipster mit dem Vollbart zuckte zusammen, als hätte ihn gerade eine Geisterhand berührt. „Äh… klar, Oma. Nimm ruhig.“
„Hilde“ lächelte müde. Oma. Früher hatte sie Enkel gewickelt, heute wickelte sie sich selbst in drei Lagen Kleidung, um nachts nicht zu frieren. Die Rente reicht gerade für die Wohnungsmiete – wenn sie die Flaschen nicht sammelte, bleibt das Heizgeld auf der Strecke.
Plötzlich ein Schatten neben ihr.
„Frau Meier?!“
„Hilde“ erkannte die Stimme sofort: Frau Keller, ihre ehemalige Nachbarin aus dem Prenzlauer Berg der 90er. Jetzt Pelzmantel und Designerhandtasche. „Mein Gott, was machen Sie denn hier?!“
„Hildes“ Wangen brannten. „Ich… spaziere nur.“ Sie tätschelte den Einkaufsrolli, als wäre er ein liebgewonnenes Haustier.
Frau Keller starrte auf die vollen Müllsäcke. „Das ist doch… unwürdig!“
„Unwürdig?“ „Hilde“ richtete sich auf. „Wissen Sie, was unwürdig ist? Dass ich 45 Jahre als Schwesternhelferin gearbeitet habe. Ich habe meinen Mann gepflegt und 3 Kinder großgezogen. Aber keiner ist mehr da. Und nun muss ich jeden Cent zusammenkratzen. Zum Amt betteln gehe ich trotzdem nicht.
Eine Pause. Dann warf Frau Keller ihren Starbucks-Becher in Hildes Wagen. „Hier. Pfand gehört Ihnen.“ Dann zog sie einen 20-Euro-Schein aus der Tasche. „Und das auch noch.“
„Hilde“ schüttelte den Kopf. „Behalten Sie Ihr Geld. Aber sagen Sie Ihren Freundinnen, sie sollen ihre Flaschen neben den Müll stellen. Das spart mir das Wühlen.“
Am nächsten Morgen fand „Hilde“ etwas Unerwartetes: Eine Reihe perfekt ausgespülter Flaschen, ordentlich am Mülleimer aufgereiht. Daneben ein Zettel: „Für die Königin der Flaschen“. Danke für Ihre Arbeit damals im Krankenhaus – ein ehemaliger Patient.
„Hilde“ hatte Tränen in den Augen. Vielleicht war der Savignyplatz doch kein „kaltes Schlachtfeld“, sondern ein Ort, an dem sich unsichtbare Fäden zwischen Menschen spannten. Sie strich sich eine graue Strähne aus dem Gesicht und dachte: „Solange es Pfandflaschen gibt, kann ich weiterleben.“
Seitdem stehen manchmal junge Leute schüchtern mit vollen Pfandtüten vor „ihrer“ Bank am Savignyplatz. Und „Hilde“? Sie nimmt die Gaben an – aber nur, wenn sie dafür ein Stückchen Lebensgeschichte erzählen kann. „Flaschen sammeln macht sehr einsam“, sagt sie dann. „Aber Geschichten sind der Hauch einer besseren vergangenen Zeit.“
Was lehrt uns diese Geschichte:
Hinter jedem Pfandsammler steckt ein Leben, das uns etwas angeht. Würde ist kein Müll, den man wegwerfen kann.
(Inspiriert von wahren Begebenheiten in Charlottenburg. Namen geändert.)
Was können WIR tun?
– Pfandflaschen neben Mülleimer stellen
– Lächeln statt wegschauen
– Lokale Initiativen wie Pfandgeben.de (https://pfandgeben.de) unterstützen.
Vielleicht inspiriert euch die Geschichte:
– Irgendjemand liest das und stellt morgen eine Flasche neben den Mülleimer.
– Jemand anderes denkt vielleicht: „Verdammt, ich ruf mal meine Oma an.“
„Hilde“ und tausende kämpfen – nicht um Luxus – sondern um das Nötigste zum Überleben. Und sie tun es mit einer Kraft, die uns beschämen sollte:
Sie geben nicht auf. Sie bitten nicht um Almosen. Sie arbeiten für jeden Cent. Sie erinnern uns daran, dass Würde kein Preisetikett hat.
„Hildes“ Geschichte trifft mich persönlich ins Mark: In einem der reichsten Länder der Welt müssen Menschen im Alter Pfandflaschen sammeln, um ihre Lebenshaltungskosten zu bezahlen. Das ist keine individuelle Schande – sondern ein kollektives Versagen.
Schaut nicht weg!
Unterstützt unsere Aktion: Armut eine Stimme geben.
Thomas de Vachroi
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