BLAUER DUNST
Glaubt man den Werbekampagnen der 70-er Jahre, so war der Genuss einer Zigarette in jener Zeit eigentlich nur etwas für richtige Männer. Harte Kerle, staubige Stiefel, schneidige Rösser, das Ganze vor perfekter Prärie-Silhouette und goldenem Sonnenuntergang – »der Duft der großen weiten Welt«.
Ein Appell an die Ur-Sehnsüchte des kleinen Mannes. Meilenweit wollte auch er gehen, für seine Dromedar- Filter. Im realen Leben waren es zum nächsten Zigarettenautomaten zwar nur ein paar Schritte, aber mit etwas Phantasie fühlte auch Otto Normalbürger irgendwo tief in sich die brodelnde Lust auf Gefahr und den Kitzel des Abenteuers. So mancher bemerkte erst viel zu spät, dass das Brodeln aus seiner Lunge kam und der Kitzel vom allmählichen Taubwerden seiner Extremitäten herrührte. Nach und nach fiel auch den Werbegurus auf, dass immer weniger Leute auf die blöde Anmache mit den Cowboyhüten und den durchgelatschten Stiefeln hereinfielen.
Was tut die Werbung in diesem Fall? Richtig. Sie wird noch, gelinde gesagt, exzentrischer. Damit sowohl Männer als auch Frauen zukünftig beim Quarzen kein allzu schlechtes Gewissen mehr haben sollten, grinsten fortan sportliche Jung-Models beiderlei Geschlechts von jeder Hauswand auf uns herab. Frech verkündeten sie den wohl dümmsten Slogan aller Zeiten: »Ich rauche gern! « Spontan erinnerte ich mich an meinen allerersten Lungenzug. Das Gefühl lässt sich am besten beschreiben, indem man es mit dem Einatmen von glühender Asche vergleicht. Doch seinerzeit war ich fest gewillt, meiner Lunge zu zeigen, wer der Herr im Brustkorb ist.
Irgendwann hatte ich das wehrlose Ding soweit, dass es an den beißenden Pesthauch halbwegs gewöhnt war. »Ich rauche gern!« – selten so gelacht.
Schließlich zogen die Tabak-Konzerne ihr Ass aus dem Ärmel: Die Geburt der »Light«- Zigarette. Mit ihr hatte die Konsumenten-Verdummungs-Strategie ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Jean Nicot, Namensgeber des nach ihm benannten Nervengiftes, rotiert seither im Grab.
Sein guter alter Tabak wird jetzt mit allerlei Parfümen und Aromen versetzt; man streckt ihn mit Menthol, mit Vanille, mit Zuckerstoffen, Kakao, Lakritze … Moment mal … Zucker? Lakritze? Also harmloser Süßkram? Hosanna! Was das insuffiziente Raucherherz nie zu hoffen wagte, wurde dank »Light« endlich wahr. Rauchen – ab sofort ein Volksvergnügen für Jung und Alt! Spaß beiseite. Was mich persönlich angeht, so habe ich Anfang der 90-er die Entscheidung getroffen, ein für alle Mal die Pfoten von den Zigaretten zu lassen; eben weil ich der Herr im Brustkorb bin und es auch bleiben wollte. Vielen anderen ist das bisher nicht gelungen. Doch bin ich deshalb besser als sie? Wohl kaum. Nichts ist nerviger, als ein »Bekehrter«, der mit dem Finger heute auf jene Leute zeigt, mit denen er früher eifrig um die Wette gepafft hat. Unbestritten bleibt: Rauchen ist teuer und nicht gut für die Gesundheit. Der Geist ist willig aber das Fleisch ist schwach. Ich bin wieder schwach geworden.
Das wissen selbstverständlich auch die Raucher. Trotzdem brauchen sie die Zigarette, weil sie denken, dass sie sie brauchen. So ist das nun mal. Da schrecken auch keine schwarz umrandeten Oberlehrer-Sprüche auf der Schachtel. Wer lesen will, kauft sich sowieso lieber eine Zeitung.
Kraft des neuen Nichtraucherschutz-Gesetzes geht’s den Rauchern jetzt an den Kragen. Endlich, möchte mancher meinen. Doch halt! Wie immer, wenn es in Deutschland etwas per Gesetz zu regeln gilt, dann ist dessen Extrem-Auslegung nicht weit. Resultat: Sogar Altbundeskanzler Helmut Schmidt ist neuerdings nicht mehr sicher vor den Attacken der Nichtraucher-Fundamentalisten.
Liebe Leute, was soll das bitte? Dieser Mann raucht wahrscheinlich schon länger als der Ätna Feuer spuckt. Lasst ihn in Ruhe. Erstens kratzt ihn das überzogene Fundi-Geschwafel herzlich wenig und zweitens ist ihm wohl kaum noch soviel Zeit beschieden, dass er diesem Land durch seinen blauen Dunst soviel schaden könnte, wie er ihm durch seine Lebensarbeit genutzt hat. Apropos Schaden und Nutzen, natürlich kosten Raucher eine Menge Geld. Die Krankenkassen singen ihr Klagelied. Aber die Alten und Kinder sowie der Verkehr kosten auch Geld. Und was ist mit den etwas kräftigen Bürgern?
Wird uns demnächst das Essen in öffentlichen Räumen verboten? Hinzu kommt, dass das Gesetz eines Staates, der durch den Zigarettenkonsum seiner Bürger Jahr für Jahr viele Milliarden einnimmt, ohnehin mit Skepsis zu betrachten ist. Wehe dem, der seine Zigaretten beim »Fidschi« kauft! Ganze Kompanien scharfgemachter Polizeischüler werden ihm auf den Hals gehetzt. Wen sie zu fassen kriegen, dem drohen saftige Strafen.
Das ist ungefähr so, als würde jemand einerseits gegen Gewalt und Prostitution zu Felde ziehen, andererseits aber seine Tochter vermöbelt, weil sie ihm vom Strich, auf den er sie schickt, nicht genug Kohle heranschafft. Die zentrale Frage ist: Brauchen wir das Nichtraucherschutz-Gesetz wirklich? Sind wir allesamt so unmündig, dass wir den Regierenden erlauben, dermaßen tief in unser Leben einzugreifen? Interessant an den nimmermüden Diskussionen hierzulande ist, dass sowohl Raucher als auch Nichtraucher ein Argument besonders oft in die Waagschale werfen: Die persönliche Freiheit. Sie ist es, die ihnen durch die jeweils andere Partei angeblich massiv beschnitten wird. Ein kluger Kopf hat einmal gesagt:
Freiheit bedeutet nicht, alles tun zu können, was man will; Freiheit bedeutet vielmehr, das nicht tun zu müssen, was man nicht will. Klar könnte die frisch diplomierte Sozialpädagogin neuerdings in der verräucherten Eckkneipe auftauchen und barsch verlangen, dass die schwarzbeinigen alten Männer ihre Kippen sofort ausdrücken. Was aber hätte sie davon? Sie muss da doch nicht hinein. Niemand zwingt sie dazu und ihren Mate-Tee kriegt sie da sowieso nicht.
Andererseits braucht die junge Frau wiederum nicht zu befürchten, dass die röchelnden Suchtraucher ihr demnächst zu einem ihrer Yoga-Selbsterfahrungs-Töpferkurse in die Lüneburger Heide folgen. Die Lösung des leidigen Themas ist so einfach, dass sie fast schon brüllt: Jeder in seinem Bereich, jeder nach seiner Fason. Leben und leben lassen. Und sollten sich die Wege doch einmal kreuzen, dann ist Respekt und gegenseitige Rücksichtnahme angesagt. Achten und geachtet werden. Wenn wir hierzu erst ein Gesetz vom Staat brauchen, dann ist es wahrhaftig nicht weit her mit unserer zivilisierten Gesellschaft, oder?
red. TDEVA 2012