Zerstörerischer Elektrosmog!
Bild: Tdeva14
Gewöhnlicher Elektrosmog gilt für Menschen bislang als harmlos. Diese Sicherheit gerät nun ins Wanken. Experimente zeigen: Strahlung von Haushaltsgeräten vermag ganze Sinnesorgane lahmzulegen – und zwar von Zugvögeln.
Sieben Jahre lang haben der Biologe Henrik Mouritsen und seine Kollegen die Experimente wiederholt, immer und immer wieder, sie haben sie verändert, verfeinert und nachkontrolliert. Sie wollten ganz sicher gehen, dass sie nichts übersehen haben. Schon der Begriff „Elektrosmog“, das war ihnen von Anfang an klar, würde bei vielen Menschen heftige Reaktionen auslösen. Ängste erzeugen und Ängste verstärken.
Denn dass elektromagnetische Strahlung, wie sie in unseren elektrifizierten Häusern und Städten allgegenwärtig ist, von vielen als Beeinträchtigung des eigenen Wohlbefindens oder gar als Gefahr für die eigene Gesundheit angesehen wird, ist nichts Neues. Und dass diese psychische Belastung mit der digitalen Revolution in den vergangenen Jahrzehnten eher zu- als abgenommen hat, liegt auf der Hand.
Fest steht: Die Menschen sind immer mehr elektromagnetischer Strahlen ausgesetzt. Allerdings war unter Experten und bei den Behörden weitgehend einhellige Meinung, dass zwar die Psyche bei vielen strahlenempfindlichen Menschen leiden mag, dass aber selbst bei anhaltender Exposition unterhalb bestimmter Schwellenwerte weder Körper noch Gehirn leiden.
Die Weltgesundheitsorganisation und die Internationalen Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung haben sich in der Hinsicht auf Grenzwerte geeinigt, die jegliches Risiko für Menschen ausschließen sollen. Und tatsächlich hatte man zumindest bei Wirbeltieren und auch speziell beim Menschen unterhalb dieser von Frequenz und Ausgangsleistung der Geräte abhängigen grenzwertigen Strahlungsintensität keine biologischen Effekte entdecken können. Gewöhnlicher Elektrosmog gilt als harmlos.
Diese Sicherheit ist nun zumindest vorläufig mit den Experimenten von Mouritsen und seinen Kollegen an der Universität Oldenburg ins Wanken geraten. Denn die Forscher haben in einer Reihe von Experimenten gezeigt, dass schwache elektromagnetische Strahlung, wie sie von üblichen Haushaltsgeräten und als Radiostrahlung in dem Frequenzbereich von zwei Kilohertz bis fünf Megahertz erzeugt wird, offenbar sogar ganze Sinnesorgane lahmzulegen vermag – und zwar den Magnetsinn der Zugvögel.
Seit mehr als einem halben Jahrhundert weiß man durch Experimente des Frankfurter Ornithologen-Paars Wolfgang und Roswitha Wiltschko über die Existenz dieses Magnetsinns. Zugvögel wie die Rotkehlchen oder Tauben nutzen ihn auf ihren langen Wanderungen neben den genetisch angelegten Navigationssystemen für die Orientierung an Sternen und der Sonne. Vor allem in wolkenverhangenen Nächten hilft der Magnetsinn. Doch obwohl man inzwischen sogar von einer regelrechten Magnetkarte im Gedächtnis der Tiere spricht, wissen die Wissenschaftler bisher wenig darüber, wo im Nervensystem der Magnetsinn eigentlich sitzt und wie er funktioniert.
Einige Hinweise gibt es, dass die entsprechenden magnetempfindlichen Zellen im Auge beziehungsweise im Oberschnabel sitzen, aber sicher ist man sich nicht.
Immerhin: Einige Indizien, die dafür sprechen, dass das noch unentdeckte „Magnetsinnesorgan“ empfindlich auf Störungen reagiert, wurden schon vergangenes Jahr gesammelt. Max-Planck-Forscher aus Radolfzell haben den Magnetsinn durch einen Transmitter, den man den Vögeln umgespannt hatte, nach Belieben an- und ausgeschaltet.
Noch viel verblüffender allerdings sind die Versuchsergebnisse, die Mouritsen und sein Team in Oldenburg gefunden haben. Ausgangspunkt war eine Beobachtung, die den Biologen Kopfzerbrechen bereitet hatte. Denn offensichtlich konnten die von ihnen eingesetzten Rotkehlchen anfangs den Magnetkompass in den Experimenten, mit denen die Vogelzugrichtung ermittelt werden sollte, nicht richtig nutzen. In den dunklen Holzhütten auf dem Campus reagierten die Tiere in der Zeit, in der sie von Zugunruhe erfasst und in ihren Käfigen eine bevorzugte Bewegungsrichtung (im Herbst gen Süden) zeigen sollten, völlig desorientiert.
Das änderte sich erst, als der Elektrophysiologe Nils-Lasse Schneider eine Idee hatte: Er schlug vor, die Hütten rundherum mit geerdeten Aluminiumplatten elektromagnetisch abzuschirmen. Nur das statische Magnetfeld der Erde war für die Vögel damit noch wahrnehmbar. Die Erdung und damit die Abschirmung waren an- und abschaltbar.
Die Vögel reagierten prompt: Sobald die Abschirmung aktiviert wurde, zeigten die Rotkehlchen ihre natürliche Kompassorientierung. Wurde die Erdung abgeschaltet und damit der auf dem Campus herrschende Elektrosmog ein entscheidender Faktor, kamen die Vögel ins Straucheln. Sie verloren ihre Orientierung. Auch wenn man in den abgeschirmten Hütten Geräte anstellte und Elektrosmog erzeugte, störte das die Magnetwahrnehmung.
Immer wieder setzten die Oldenburger Forscher neue Experimente an, tauschten die Mitarbeiter, die das Verhalten der Vögel aufzeichneten aus. Das Resultat der doppelblind-kontrollierten Untersuchungen war immer das Gleiche: Sobald das Breitbandrauschen aus der Umwelt in dem Frequenzbereich von zwei Kilohertz bis fünf Megahertz einwirkte, fiel der Magnetkompass aus. Auch als man die Vögel in ihren Orientierungskäfigen ein paar Kilometer ins Oldenburger Umland verfrachtete, wo kaum Elektrosmog herrscht, war der Effekt eindeutig: Die Tiere orientierten sich in den abgedunkelten Versuchskäfigen tadellos nach dem Magnetfeld.
Bei dem Elektrosmog im besagten Frequenzband handelt es sich keineswegs um starke Strahlung. Im Gegenteil: Die ermittelten Magnetfeldstärken lagen deutlich unterhalb der WHO-Grenzwerte von 6000 Nanotesla für 150 Kilohertz und 180 Nanotesla bei der Frequenz von fünf Megahertz. Tatsächlich werden diese Strahlungsintensitäten beim Betrieb von gewöhnlichen Elektrogeräten, Haushaltsgeräten oder den an der Universität verwendeten Apparaten, erzeugt.
Auch amplitudenmodulierte Radiosignale, die einige Kilometer entfernt von Radiosendemasten gemessen werden, liegen i dem Bereich. Handystrahlung jedenfalls, die im Bereich von Gigahertz liegt, und die Strahlung von Stromleitungen im Bereich von 16 beziehungsweise 50 Hertz konnte man als Ursache der Desorientierung ausschließen.
Das macht die Lösung des Rätsels dennoch kaum einfacher. Denn nach wie vor ist unklar, wie die Störungen in den Sinneszellen ausgelöst werden. In der Zeitschrift „Nature“, in der sie ihre Forschungsergebnisse präsentieren, spekulieren sie, dass die biophysikalischen Effekte möglicherweise durch „hyperfeine Interaktionen von lichtempfindlichen Radikalpaaren oder in eisenhaltigen Partikeln„ erzeugt werden. Das bedeutet: Möglicherweise handelt es sich um dynamische, winzige Quanteneffekte in den Sinneszellen, über die allerdings bisher noch so gut wie nichts bekannt ist.
Ob solche extrem schwachen Magnetfelder und die beteiligten elektrischen Energien am Ende ausreichen, vielleicht sogar auch im menschlichen Gehirn irgendwelche Effekte zu erzielen, ist ebenfalls noch völlig unklar. Das Bundesamt für Strahlenschutz in Salzgitter will die Oldenburger Studie jedenfalls erst genau prüfen, ehe man Aussagen über die Bedeutung des zur Rede stehenden Elektrosmogs für die menschliche Gesundheit macht.
Quelle: Frankfurter Allgemeine von JOACHIM MÜLLER-JUNG
Red. Vachroi-VariAble 2014
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